Rundbrief an die Hochschulgruppen von DIE LINKE.SDSFebruar 2009Liebe Genossinnen und Genossen, der vergangene Bundeskongress in Bochum hat ohne nennenswerte Änderungen dem opportunistischen hochschulpolitischen Strategievorschlag des Forums Hochschulpolitik zugestimmt. Ein von uns in letzter Minute eingebrachter Änderungsantrag wurde
aufgrund von Formalia nicht mehr zugelassen. Dennoch konnte eine um den
gesamten Argumentationsteil gekürzte Fassung des Antrages auf Anhieb
nahezu die Hälfte der abgegebenen Stimmen erreichen (12 zu 14). Dieser
Rundbrief soll darum den Delegierten und den delegierenden Ortsgruppen
nachholend die notwendige Kritik an der opportunistischen Politik des
Vorstandes darlegen und zugleich über die Absichten unseres
Änderungsantrages informieren. Kritik der opportunistischen Hochschulpolitik In den »verabschiedeten Überlegungen zur hochschulpolitischen Strategie von DIE LINKE.SDS« macht der Pragmatismus, »anstelle eines bunten Sammelsuriums von Forderungen« Schwerpunkte zu setzen, jedwede Argumentation überflüssig. Die Argumente »für eine linke Interessensvertretungspolitik«, die in den »Überlegungen« bereits als common sense vorausgesetzt sind, finden sich deshalb auch nicht hier, sondern im Antrag des Forums Hochschulpolitik, vor allem aber in dem Aufsatz »Welche hochschulpolitische Strategie hat DIE LINKE.SDS? Plädoyer für einen Perspektivenwechsel«, von dessen Vordenkern Jörg Schindler und Kolja Möller. Das Plädoyer »für eine linke Interessenvertretungspolitik« lautet: »Wenn es nicht reaktionären Kräften unter der Ägide von Humankapital überlassen« werden soll, das Studiums im Sinne der employability weiter zu effektivieren, muss auch der SDS dieses ureigenste Interesse der Studierenden vertreten. Worin liegt dann aber der Unterschied zwischen linker und reaktionärer Hochschulpolitik? Auf diese naheliegende Frage geben Schindler und Möller eine originelle Antwort: Worauf es bei der linken Interessenvertretungspolitik ankomme seien die »materialisierten Kräfteverhältnisse«, die es zu verschieben gelte. Es geht also neben positiven Wahlergebnissen für DIE LINKE und DIE LINKE.SDS um »eine Veränderung in der personalen Besetzung von Apparaten des Staates«, der Universitätsbürokratie und, so dürfen wir ergänzen, in der Zivilgesellschaft. »Hier«, so Schindler und Möller »schließt sich der Kreis wieder zur Ausrichtung der fortschrittlichen Studierenden auf eine gute Ausbildung mit dem Ziel, im späteren Berufsleben politisch fortschrittlich zu wirken«. Der Opportunismus ist offensichtlich: der messbare Erfolg in Wahlergebnissen und Personalentscheidungen ist Selbstzweck der Politik. Die Kriterien dieses rein formalen Erfolges aber, und dass ist das Entscheidende, sind der Politik durch das Kapitalverhältnis vorgegeben. Dennoch gibt es in der Konkurrenz zwischen fortschrittlicher und reaktionärer Hochschulpolitik um die bestmögliche Befriedigung des Kapitalbedarfs nach akademisch qualifizierten Arbeitskräften auch einen inhaltlichen Unterschied. Schindler und Möller: »Es geht unseres Erachtens also gerade darum, die kurzfristig und rein betriebswirtschaftlich orientierte employability der Neoliberalen als Ziel eines Studiums mit einem Ansatz langfristig volkswirtschaftlich gewinnbringender, umfassender Qualifizierung zu konfrontieren«. Aber auch dieser Unterschied gründet im Kapitalverhältnis selbst, und geht nicht über es hinaus. Der Staat als integraler Bestandteil des Kapitalverhältnisses wahrt gegen die kurzfristigen Interessen der Einzelkapitale, die allen Einzelkapitalen gemeinsamen langfristigen Interessen. So haben die Einzelkapitale ein Interesse an qualifizierten Arbeitskräften, jedoch kein Interesse die Kosten für deren Qualifikation zu übernehmen. Der Staat nun befriedigt dieses allgemeine Bedürfnis des Kapitals nach qualifizierten Arbeitskräften, indem er die einzelnen Kapitale zur Übernahme der dafür notwendigen Ausgaben (betriebliche Berufsausbildung/öffentliche Bildungseinrichtungen) zwingt. Die gegenseitige Bedingtheit von »volkwirtschaftlich langfristiger« und »betriebswirtschaftlich kurzfristiger« Qualifikationsanforderung begründet also lediglich einen relativen Unterschied, und keinen Widerspruch, der in einen Antagonismus zum Kapital gebracht werden könnte. Die gegenteilige Annahme aber ist die sozialdemokratische Illusion hinter dem Opportunismus der Genossen Schindler und Möller. Der dem Bundeskongress zur Abstimmung vorgelegte Strategievorschlag des Forums Hochschulpolitik geht aus von einem, in den Überlegungen später nur noch »vermeintlich« genannten Widerspruch zwischen Allgemeinpolitik und Hochschulpolitik und löst diesen Widerspruch dann in ein, den Vorstellungen Schindlers und Möllers entsprechendes, funktionalistisches Verhältnis auf: »allgemeinpolitisch« soll eine möglichst breit getragene bildungspolitische Kampagne des SDS den Wahlkampf der Partei DIE LINKE zu den Bundestags-, Europaparlaments- und Landtagswahlen unterstützen. Hochschulpolitisch sind Mittel und Zweck dieser »bildungspolitischen Kampagne« identisch: eine gewerkschaftsorientierte Interessensvertretungspolitik für Studierende. Wie auf allgemeinpolitischer Ebene sind das Ziel auch hochschulpolitisch die Wahlen und die der Parlamentspolitik entsprechende »Gremientätigkeit«. »Weitere Aktivitäten«, eine Konzession an die »affektive Dimension« (Schindler/Möller) des Politischen, sind Werbemittel oder haben lediglich »Druck aufzubauen«. Diesen Vorstellungen entspricht eine strikte Hierarchie in der Umsetzung der Kampagnen: der Vorstand beschließt und verschickt zentralistisch Argumentationshilfen, Flugblätter, Postkarten und Aufkleber im sog. »corporate design«, die Basis hat dann mit diesem Material die Kommilitonen zu agitieren und zu mobilisieren. Letztendlich mobilisieren und agitieren, so darf man schlussfolgern, die Genossinnen und Genossen an der Basis für die Karrieren einiger Verbands- und Parteifunktionäre in der Staats- und Universitätsbürokratie und für eine »volkswirtschaftlich gewinnbringendere« Qualifizierung der Studierenden. Für eine sozialistische Hochschulpolitik »Jede, auch eine sozialistische Hochschule, wird darauf orientieren (sic!), dass Studierende im Studium die Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben, diese im späteren Beruf anzuwenden. Auch die Mehrzahl der sozialistischen Chirurgen in der sympathischeren Gesellschaft wird nicht aus bloßem Interesse an der Medizin, sondern vor allem auch deshalb studieren, um nach erfolgreichem Studienabschluss anderen Menschen der sympathischen Gesellschaft bei Knochenbrüchen zu helfen«, so Schindler und Möller zur Rechtfertigung ihres Opportunismus. Ist man also ein Idiot wenn man unter sozialistischer Hochschulpolitik nicht die Verbesserung der Verwertungsmöglichkeiten des Humankapitals versteht? Nun sollte jeder linke Student und jede linke Studentin, auch wenn sie nicht gerade im Vorstand einer sozialistischen Studierendenvereinigung sitzen oder saßen, zumindest wissen, dass im Kapitalismus eben nicht für die Befriedigung von Bedürfnissen (chirurgische Hilfe bei Knochenbrüchen) gearbeitet wird, sondern um Profit zu erwirtschaften. Das im Kapitalismus Bedürfnisse nur befriedigt werden, um Profit zu machen hat sehr konkrete, gegenständliche Folgen, sowohl für die gesellschaftliche Form der Bedürfnisse, wie auch für alle Bereiche der gesellschaftlichen Arbeit. Für das medizinische Beispiel der Genossen Schindler und Möller etwa bedeutet dieser Zusammenhang, dass laut W.H.O. das einzig verbindliche Kriterium zur Unterscheidung zwischen Krankheit und Gesundheit die Fähigkeit- bzw. Unfähigkeit zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit ist. Auch eine vollständige Privatisierung des Gesundheitswesens würde nur offensichtlich machen, was auch jetzt schon, wenn auch noch gebrochen durch die Vermittlung des Staates, gilt: nach Rentabilitäts- und nicht nach zeitlosen medizinischen Kriterien wird entschieden was erforscht, worin ausgebildet und wer auf welche Art therapiert wird. Aber auch das »Bedürfnis« nach einer Ausbildung, die einem erleichtert seine Arbeitskraft zu verkaufen, ein Bedürfnis das Schindler und Möller »erst einmal ganz normal« und »nicht per se kritikabel« finden, ist durchaus nichts Selbstverständliches, sondern verdankt seine Existenz einzig der Unterordnung des gesamten gesellschaftlichen Lebensprozesses unter das Kapitalverhältnis. In dem »Selbstverständnis des Studierendenverbandes DIE LINKE.SDS« hingegen heißt es: »Im Sozialismus sind Hochschulen eine zivilgesellschaftliche Institution, in der (die) gesellschaftliche Planung, Lenkung und Entwicklung realisiert wird und sich die Bildungssubjekte für diese Aufgabe qualifizieren«. Die sozialistische Demokratie hat neben der Vergesellschaftung der Produktionsmittel eine weitere sachliche Voraussetzung: um demokratisch entscheiden zu können, muss man sachlich zu dieser Entscheidung qualifiziert sein. In welchem Verhältnis steht dieses Ziel zur realen Hochschulpolitik? Wenn es nicht als jenseitiges Ideal realen Opportunismus rechtfertigen soll, muss der Zweck schon im Mittel gegenwärtig sein. Das entscheidende Mittel zur sozialistischen Organisierung der Gesellschaft ist aber die sozialistische Organisation selbst. Eine organisationspolitisch verbindliche Theorie- und Schulungsarbeit bildet die Voraussetzung für eine entwicklungsfähige interne Demokratie eines sozialistischen Studierendenverbandes. Verbindlichkeit bedeutet hier, dass die in obligaten Schulungen erworbene Sachkenntnis Voraussetzung der Entscheidungsberechtigung ist, zugleich aber, dass die Entscheidungsvorlagen mit dem in den Schulungen von den Verbandsmitgliedern angeeignetem Wissen vermittelt sein müssen, dass sie für dieses Wissen transparent sind. Die Qualifikation der Masse der Menschen zur Übernahme selbsttätiger gesellschaftlicher Verantwortung wäre die Aufgabe der Wissenschaft in einer sozialistischen Gesellschaft. Im Kapitalismus hat Wissenschaft diesen Zweck nicht. Sie basiert auf der Trennung von Hand- und Kopfarbeit, der Enteignung des in der materiellen Produktion erworbenen und angewandten Wissens der unmittelbaren Produzenten. Dieses durch die arbeitsteilige Form seiner Verallgemeinerung verselbständigte Wissen tritt den unmittelbaren Produzenten in seiner Anwendung auf die Produktion als eine fremde Macht gegenüber, als Macht des Kapitals. Der Zweck, dem Verwertungsinteresse des Kapitals zu dienen, bestimmt Formen und Inhalte des bürgerlichen Wissenschaftsbetriebes. Die wissenschaftliche Intelligenz, die Studierenden, als die Träger dieses verselbstständigten Wissens sind aber zugleich Teil des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters. Nach dieser Einsicht bestimmt sich das wahre Verhältnis von sozialistischer Hochschul- zu sozialistischer Allgemeinpolitik. Zwei Aufgaben der sozialistischen Studenten und Studentinnen werden deutlich: Eine Wissenschaftskritik hätte die Formen und Inhalte der wissenschaftlichen Produktion auf den Zweck der intellektuellen Befähigung des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters zur Erlangung und Ausübung der demokratischen Entscheidungsgewalt über den gesellschaftlichen Produktionsprozess hin neu zu bestimmen und die vom Positivismus als Sachzwänge dargestellten, letztlich immer politischen Entscheidungen als solche auszuweisen und transparent zu machen. Zweitens wäre diese Kritik bürgerlicher Wissenschaft praktisch umzusetzen, zunächst in der eigenen Studierendenorganisation, dann in dem Aufbau einer bundesweiten Infrastruktur von Gegenuniversitäten für alle Fraktionen des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters, als Teil einer übergreifenden sozialistischen Organisation bzw. Organisierung. Wir werden im Sinne dieser Ausführungen auf dem nächsten Bundeskongress erneut den Antrag stellen, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die sich eingehend mit der Theorie sozialistischer Wissenschaftskritik und der Praxis von kritischen-, Gegen- und Volksuniversitäten des historischen SDS befasst.1 Diese Arbeitsgruppe soll dann ihre vorläufigen Resultate bundesweit zur Diskussion stellen, mit dem Ziel dem Bundeskongress praktische und beschlussfähige Konsequenzen aus den, in der massenhaften Diskussion gewonnen Einsichten für die Organisation und Politik des neuen SDS vorzulegen. Jetzt, mit diesem Rundbrief, versuchen wir, eine möglichst breite Diskussion unserer Kritik und Vorschläge zu initiieren. Erster Adressat sind hierbei die Gruppen vor Ort und danach die bundesweiten Medien des Verbandes. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es an der Basis, in den Ortsgruppen des SDS, überhaupt das emanzipatorische Potential für eine solche selbstorganisierte Diskussion gibt, oder ob die Mehrheit der Verbandsmitglieder tatsächlich betreut werden muss, wie es im verräterischen Jargon zum »Beschluss Gruppenbetreuung und Kampagnenarbeit« heißt? Mit der Beantwortung dieser Frage wird die Vorentscheidung über Erfolg oder Scheitern unserer Initiative getroffen werden. Wir richten uns dabei an diejenigen Genossinnen und Genossen die im SDS die historische Augenblicksmöglichkeit zu verbindlicher, organisierter, bundesweiter sozialistischer Politik an den deutschen Hochschulen sehen, und, enttäuscht von der Entwicklung des Verbandes, dennoch nicht bereit sind ihre Hoffnung aufzugeben, sondern im Gegenteil sich um so entschlossener für die notwendige Richtungsänderung einzusetzen. |