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Rezension in UTOPIEkreativ

Praktischer Sozialismus – Antwort auf die Krise der Gewerkschaften

Rezension von Erk Werner, erschienen in UTOPIEkreativ, September 2008

Auch die jüngste Energik der deutschen Gewerkschaften, ihre Position und Forderungen wieder stärker mit Hilfe von Streiks zu vertreten, ändert nichts an der Tatsache, dass ihre strukturelle Krise nicht nur von ihren Gegnern, sondern vielmehr auch von ihren strategisch bewusstesten Teilen als zunehmend kritisch für ihre Fortexistenz beurteilt wird.
Seit Jahren mangelt es nicht an Attesten für ihre Krankheit und auch der Genesungsvorschläge gibt es viele.
Allein, bei der Schau der prominentesten Vorschläge zur Initiierung einer Trendwende kommt man nicht umhin, den größtenteils durch ausgesuchte Kenntnis des Metiers und empirische Untermauerung ihrer Analysen sich auszeichnenden Werken, bei aller Unterschiedlichkeit in ihren Akzentuierungen, die immer gleiche methodische Schwäche festzustellen.
Den meist akribisch gesammelten Beispielen der Krise, werden oft ebenso detailreich Ergebnisse anderer gesellschaftspolitischer Teilbereiche nachgestellt, wobei im Resultat fast immer ein Appell an die Gewerkschaften steht, sich doch ebenso erfolgreich neue Aktionspotentiale zu erarbeiten, wie es die hinter dem Ofen hervorgezerrten Pappkameraden tun.

So mangelt es den ausgestellten Rezepten an einer fundierten Anamnese, die sich nicht nur den Symptomen, sondern vielmehr der Gesamtkonstitution des Patienten annimmt.

Dass es der kleinen Broschüre „Praktischer Sozialismus. Antwort auf die Krise der Gewerkschaften“ gelingt, diesen Hiatus von Empirie und Abstraktion zu überbrücken, ist für sich genommen ein Grund, sich ihrer anzunehmen.
Doch leistet das kleine Heft des Hans-Jürgen-Krahl-Instituts weit mehr.
Mit klassischem marxistischen Instrumentarium werden den Problemen der Gewerkschaften ihre strukturellen Gründe vorgelegt und so mit beinahe spielerischer Einfachheit ein, man muss betonen prinzipieller, Ausweg aus der Defensive emanzipatorischer Politik skizziert.

Bei der Lektüre der Broschüre kann sich dem Leser schon die Frage stellen, wieso die traditionell stärkste Waffe des Marxismus, seine ökonomischen Analysen, heutzutage nur noch propagandistisch oder agitatorisch genutzt werden, ihre Anwendung auf Strategie und Taktik so gut wie nicht stattfindet.

Im ersten Teil der Broschüre wird also mit der Verortung der Gewerkschaften und politischen Parteien der Arbeiterbewegung als Konstituanten der Rechtsverhältnisse des Kapitalverhältnisses eine nüchterne und vielleicht gerade daher schwer verdauliche Bestimmung als nicht-revolutionäre Organisationen begründet.

Dem nach eigener Aussage erstem Adressaten dieser Broschüre, den „gesellschaftskritischen Gewerkschaftern“, wäre eine weitere Explikation der Bedeutung des Verhältnisses von logischer Funktion zu Subjekten als Funktionsträger sicher nicht überflüssig vorgekommen.

So ist der sachlich-logischen Argumentation und ihren Ergebnissen lediglich dieses vorzuwerfen, dass sie nicht flankierend ergänzt wird durch eine Erörterung der praxeologischen Voraussetzungen, auf welchen aufbauend im zweiten Teil eine strategische Alternative der gesellschaftlichen Transformation skizziert wird.

Die entwickelte Strategie ist im Kern das Modell einer Verlaufsform einer sich je nach den sich bietenden Möglichkeiten sowohl horizontal als auch vertikal ausweitender nicht bornierter gesellschaftlichen Produktion.

Dass diese nicht bornierte gesellschaftliche Produktion unter dem Begriff Gemeinwirtschaft gefasst wird, problematisieren die Autoren mit dem Hinweis auf das „Verhältnis von allgemeiner zu bestimmter Bedeutung“ den Konnotationen mit der historischen bestimmten Gemeinwirtschaft soll unter Rekurs auf die allgemeine Bedeutung des Begriffs Gemeinwirtschaft eine neue Bestimmung des Begriffes und mithin der gemeinwirtschaftlichen Praxis erfolgen.

Diese gemeinwirtschaftliche Praxis ist die bewusste Vergesellschaftung.

Im Wesentlichen handelt es sich, um eine „einheitliche Organisation von gemeinwirtschaftlich produzierenden Lohnarbeitslosen und arbeitskämpfenden Lohnabhängigen, [in der] Gewerkschaft und gewerkschaftliche Gemeinwirtschaft nicht mehr [sind] was sie waren, [sondern] nur mehr Funktionen innerhalb einer neuen Prozessgestalt, die den Sozialismus im Kapitalismus aufbaut.“1

Die scheinbare Einfachheit der propagierten Organisation von Proletarisierten als Verlaufsform »historischer Produktion« (Marx) fußt auf zwei Grundannahmen, deren Diskussion im Rahmen des Essays, im Hinblick auf ihren Zweck als Diskussionsgrundlage, sinnvollerweise nicht erfolgt.

1. Die Kapitallogik wird als Resultat nicht Bedingung menschlichen Handelns bestimmt.
2. Entgegen allen naturalistischen und philosophischen Versuchen ist Freiheit keine theoretisch ableitbare Größe, sondern wird als praktische Bedingung bewusster Veränderung vorausgesetzt.

Ganz in der Tradition Hans-Jürgen Krahls ist Geschichte demnach Resultat menschlicher Entscheidungen (und damit Freiheit). „Das Wesen der Geschichte ist die generative Folge, nach der die Ergebnisse der Produktion von gestern die Bedingung der Produktion von morgen ist.“

Wenn auch der erste Eindruck nach der Lektüre Zu-kurz-kommen der möglichen Konkretisierungen der schematisch skizzierten Strategie ist, so zeigt sich eben dieser mit Bedacht geübte Verzicht auf eine Konkretisierung als wesentlicher Bestandteil eben jenes Transformationsmodells. Eine planerische Projektierung von Zielen kann, wenn sie ihr eigentliches Ziel, die Erarbeitung eines „unmittelbar gesellschaftlichen Produzentenbewusstseins“, nicht verfehlen will, nur aufgrund der realen Bedingungen und damit den bewussten Entscheidungen Einzelner aufbauen.

So betonen die Autoren, dass „Dieses Bewusstsein […] nicht mit einer komplexen politischen Theorie zu verwechseln [ist], es ist vielmehr die Kenntnis der wesentlichen Unterschiede kapitalistischer und gemeinwirtschaftlicher Vergesellschaftung, die von den Organisierten auf ihre konkrete Situation schöpferisch angewendet werden muss.“

Es ist dem Projekt zu wünschen, dass die Initiative zur Diskussion breit angenommen wird und die in der Kürze des Textes begründete Konzentration auf Deduktionen von vielen als Aufruf zur Ergänzung und Widerspruch dient und nicht vorschnell als lückenhaft abgeurteilt wird.

Das größte Manko des Textes ist, dass seine inhaltliche Bedeutung durch die Kürze und Form der Publikation konterkariert wird. Die Gedanken verdienten eine ausführlichere Explikation, insofern ist die Ankündigung des Hans-Jürgen-Krahl-Instituts, mit der vorliegenden Broschüre den Startschuss zu einer Reihe von Publikationen zu geben, neben der hoffnungstiftenden Kernaussage des Textes etwas, über das man sich freuen darf.

Wir danken dem Autor für die Genehmigung des Abdrucks!

Stand: September 2008